Letztes Jahr feierte die Wegbegleitung Aargau ihr 10-jähriges Bestehen. Das von der katholischen und reformierten Kirche eingeführte Angebot richtet sich an Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die auf ihren Wunsch von Freiwilligen unterstützt werden. Diese Alltagsbewältigung ist für die Hilfesuchenden kostenlos. Die Kirchgemeinde Brugg gehört zu den Pionieren. Stellenleiterin Beatrice Bieri blickt mit Erika Albert, einer erfahrenen Wegbegleiterin, auf 10 Jahre Wegbegleitung im Pastoralraum Region Brugg-Windisch zurück.
Wie lange bist du schon aktiv für Wegbegleitung Region Brugg-Windisch?
Beatrice Bieri (BB): Ich startete am 1. März 2012 mit 20 Stellenprozenten, also vor 10 Jahren, als die Wegbegleitung im Kanton Aargau lanciert wurde.
Erika Albert (EA): Vor ca. 8 Jahren, kann mich gar nicht mehr genau erinnern. Ich las einen Artikel in der Aargauer Zeitung, in dem die Wegbegleitung vorgestellt und auch Mitarbeiterinnen gesucht wurden.
Was war dein Beweggrund, dich für die Wegbegleitung zu engagieren?
BB: Wenn die Kirche ein diakonisches Basisangebot lanciert, lasse ich mich nicht zweimal bitten!
EA: Mir war es ein Anliegen, ein Projekt nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern selbst «aktiv» zu werden und Menschen zu helfen.
Wie meinst du das?
BB: Menschen in schwierigen Lebenssituationen eine Unterstützung bieten, ist für mich eine Herzensangelegenheit.
EA: Es gefällt mir, mich mit konkreten Lebenssituationen auseinanderzusetzen und Menschen ein Stück weit zu begleiten, wenn sie es am nötigsten haben.
Erzähle aus deinen Anfängen:
BB: Die Wegbegleitung wurde rasch bekannt. Soziale Institutionen sensibilisierten ihre Klientel und Presseberichte informierten die Öffentlichkeit. Mit der Zeit wurde die Wegbegleitung auch von den Klienten selbst weiterempfohlen. Von Beginn weg stand die Wegbegleitung unter einem guten Stern. Nie waren die Freiwilligen lange ohne eine Begleitung. Immer öfter erhielt ich Anfragen für eine Begleitung. Das Angebot stand nie still.
EA: Mein erster Auftrag war, zusammen mit einer Klientin eine IV-Anmeldung einzuleiten. Dies bedeutet viel administrativen Aufwand und wenn die Dokumente nicht fristgerecht eingereicht werden, wird das Dossier geschlossen. Zusammen haben wir die nötigen Papiere und Termine organisiert.
Was waren schwierige Momente?
BB: Schwierig war es dann, wenn eine Wegbegleiterin oder ein Wegbegleiter viel Zeit und Arbeit in die Begleitung investiert und der Klient sich «plötzlich» nicht mehr erreichen lässt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und meistens wohl auch erklärbar. Bloss, wenn die Wegbegleitung die Begründung nicht kennt, ist es schwierig, damit umzugehen.
EA: Es gibt immer wieder mal Situationen, wo ich echt herausgefordert bin und mich selbst hinterfrage, gebe ich dem Klienten genug Freiraum, selber zu entscheiden, auch wenn er aus meiner Sicht zu seinen Ungunsten entscheidet. Ein Beispiel kommt mir da in den Sinn, bei dem ein Klient trotz vieler Betreibungen eine Zusage für eine Wohnung erhalten hatte und er diese ablehnte, weil sie ihm nicht zusagte.
Gibt es genügend freiwillige Männer und Frauen?
BB: Ich durfte mit 12 Freiwilligen starten. Einige davon sind heute noch aktiv. Im Durchschnitt engagieren sich 20 Freiwillige. Zu Höchstzeiten waren es auch schon 25!
Wie lange dauert in der Regel ein Einsatz und ist er immer befriedigend?
BB: Der kürzeste Einsatz dauerte einen Monat. Hier begleiteten wir eine Person zu verschiedenen IV-Abklärungen. Der längste Einsatz dauerte drei Jahre. Bei diesem Einsatz gab es immer wieder Unterbrüche aus gesundheitlichen Gründen.
EA: Die Einsätze werden zuerst einmal für drei Monate vereinbart, danach wird je nach Entwicklung verlängert. Das ist sehr unterschiedlich und grundsätzlich bin ich offen. Manchmal wird das Ziel erreicht und manchmal auch nicht.
Wie muss man sich so einen Einsatz vorstellen?
BB: Diese Antwort überlasse ich gerne Erika Albert. Denn meine Aufgabe ist es, den Bedarf abzuklären und den Rahmen der Begleitungen mittels einer Vereinbarung abzustecken. Danach bleibe ich im Hintergrund und trete nur in Erscheinung, wenn es nötig ist, wenn eine Zwischenevaluation ansteht oder die Wegbegleitung beendet wird.
EA: In der Regel fragt mich Beatrice Bieri mündlich an und beschreibt kurz die Situation. Wenn ich es mir vorstellen kann, vereinbart sie einen Termin zusammen mit der Klientin oder dem Klienten und mir. Beatrice Bieri leitet das Gespräch, bei dem genau festgehalten wird, wo konkret Unterstützung gewünscht wird. Anschliessend fertigt Beatrice Bieri eine Vereinbarung aus, welche die Stellenleiterin, die Klientin oder der Klient und ich unterschreiben. Hier wird auch das Datum für die Evaluation festgelegt, bei der man gemeinsam über die weiteren Schritte entscheidet. Anschliessend lege ich mit der Klientin oder dem Klienten fest, wann, in welchem Rhythmus und wo wir uns jeweils treffen. Danach gehen wir gemeinsam die Aufgabe an. Jede Wegbegleitung ist anders, aber ich erlebe, dass sich jeweils sehr schnell eine Vertrautheit einstellt. Es macht Freude, gemeinsam zu arbeiten.
Wer bietet Wegbegleitung auch noch an?
BB: Auf der Website wegbegleitung-ag.ch sind alle Stellenleitungen ersichtlich. In unserer Region bietet auch die reformierte Kirche in Windisch Wegbegleitungen an.
Wo steht Wegbegleitung heute?
BB: Zwischenzeitlich wurde mein Stellenpensum erhöht, denn das Arbeitsvolumen konnte nicht mehr zufriedenstellend bewältigt werden. Wegbegleitung ist aus dem Dienstleitungskatalog der Kirche nicht mehr wegzudenken. Die Aufgabe erfüllt mich mit gleich viel Freude wie zu den Anfangszeiten. Jede Begleitung ist inhaltlich und zwischenmenschlich unterschiedlich. Genau diese Mischung macht die Arbeit interessant. Auch in zehn Jahren wird es die Wegbegleitung noch geben, davon bin ich überzeugt.
EA: Ich denke, dass die Wegbegleitung eine sehr sinnvolle Institution ist, da viele Menschen, aus unterschiedlichen Gründen, nicht mehr über das soziale Netz von Familie und Freunden verfügen, welche helfen könnten. Die Anforderungen im Alltag werden immer komplexer und da kann es hilfreich sein, sich an eine neutrale Stelle zu wenden.
Was möchten Sie zum Schluss noch sagen?
BB: Wer Wegbegleitung in Anspruch nehmen möchte, soll sich ohne Scheu bei mir melden, und selbstverständlich auch, wer sich gerne als Wegbegleiterin oder Wegbegleiter engagieren möchte.
EA: Persönlich habe ich viel gelernt, auch über mich selbst, und Wegbegleitung ist eine grossartige Sache. Ich würde mich freuen, wenn sich noch mehr Leute für diese Arbeit begeistern könnten.
Weitere Informationen und Kontakt für Interviewanfragen
Beatrice Bieri, 078 761 43 24 oder Mail
Dokument 2023-01-18_MM_10_Jahre_Wegbegleitung.pdf (pdf, 304.9 kB)
Datum der Neuigkeit 18. Jan. 2023zur Übersicht |